Susanne Feld

Susanne Feld (38) beschließt mit vier Jahren, in der Schule nur Einsen zu schreiben. Sie lernt Geige und Klavier, beginnt ein Studium und wäre fast Musiklehrerin geworden. Durch einen Aushang an der Uni wird sie neugierig auf Alexander-Technik, und nach wenigen Sitzungen ist sie ihre jahrelangen Schmerzen und Verspannungen in der Schulter los. Da beschließt sie, ihr Leben Schritt für Schritt umzukrempeln. Heute arbeitet sie als Alexander-Technik-Lehrerin, Gestalttherapeutin und Heilpraktikerin für Psychotherapie.

Susanne sieht jung aus mit ihren kurzen lockigen Haaren und dem verschmitzten Lächeln, das eine kleine Zahnlücke erkennen lässt. Ihre lichtdurchflutete Einzimmerwohnung im vierten Stock eines Berliner Altbaus in Prenzlauer Berg spiegelt wider, was Susanne wichtig ist: viel Raum. „Ich habe mich nach und nach von unnützen Dingen getrennt. Ein langer, aber sehr befreiender Weg“, sagt Susanne und breitet lächelnd die Arme aus.

Susanne hat ein Talent dafür, mit wenigen Dingen eine Atmosphäre der Weite, Leichtigkeit und gleichzeitig Geborgenheit zu schaffen. Auch im Zentrum für Alexander-Technik, das sie 2008 in Berlin-Mitte mitbegründet hat, haben die Räume diese besondere Ausstrahlung. Susanne arrangiert dafür Steine, Vasen, Blumen und Äste oder schreibt mit einem japanischen Pinselstift geschwungene Worte auf Zettel: „Stille“, „Raum“, „ich habe Zeit“.

„Ich beobachte, dass alle Menschen sich nicht gut genug finden und sich anders haben wollen. Das ist physischer Stress. Ich schaffe für sie einen Rahmen, in dem sie sich wohlfühlen und so sein können, wie sie sind. So kann alles auftauchen, was in diesem Moment auftauchen will, aber ohne dass etwas verändert werden muss. So kann sich auch der Körper mit entfalten. Wenn ich dazu beitragen kann, dann bereitet mir das eine große Freude.“

Susanne Feld war selbst nicht immer so ausgeglichen und im Reinen mit sich. Sie wuchs im rheinland-pfälzischen Norheim mit zwei älteren Schwestern und einem älteren Bruder auf. In ihrer Familie spielten alle mindestens zwei Instrumente und so schien auch ihr Weg als Musikerin vorgezeichnet. Susanne lernte mit sechs Jahren zunächst Geige und später Klavier. „Ich dachte damals, es sei normal, dass man sich dabei quälen muss und es keinen Spaß macht.  Deshalb habe ich meinen Eltern jahrelang nicht gesagt, dass ich Angst vor meinem Geigenlehrer hatte.“ Vielleicht war es aber auch der tiefe Wunsch nach Harmonie, denn die war ihr als Kind und Jugendliche sehr wichtig. Um Streit mit ihren Eltern zu vermeiden, schwor sie zum Beispiel ihrer Mutter mit vier Jahren, dass sie später in der Schule nur Einsen schreiben würde. „Wenn ich da heute dran denke, könnte ich schreien“, sagt Susanne und schreit tatsächlich. Ein langgezogenes „aaaaahhhh“ bricht aus ihr heraus. Sie muss lachen.

“Erst, wenn die Schmerzen groß genug waren, war ich überzeugt, dass ich wirklich genug geübt hatte”.

„Es ist Wahnsinn, wieviel wir uns selbst unter Druck setzen, um anderen zu gefallen oder eigene Ansprüche zu erfüllen.“ Als Susanne 1999 an der Universität Mainz zum Musikstudium auf Lehramt angenommen wird, ist sie im Dauerstress. Das tägliche stundenlange Üben der verschiedenen Instrumente, lässt ihre Schultern erstarren und die Geige hinterlässt Flecken am Hals, wo das Instrument angelegt wird. „Es war paradox, denn ich war erst mit mir zufrieden, wenn die Schmerzen groß genug waren. Dann war ich überzeugt, dass ich wirklich genug geübt hatte.“

Letztendlich sind es genau diese Anspannungen und Schmerzen, die dazu führen, dass Susanne ihrem Leben eine andere Wendung gibt. An der Uni hört sie von einem Kontrabassisten, der starke Armprobleme hatte und nicht mehr spielen konnte. Erst mit Alexander-Technik wird er seine Schmerzen los und kann sein Studium fortsetzen. Als sie dann einen Aushang sieht, auf dem eine Alexander-Techniklehrerin Stunden für nur 15 DM anbietet, ist ihre Neugier geweckt. Sie weiß nicht, was sich hinter dem Begriff verbirgt, und niemand scheint es richtig erklären zu können. „Ich ging da hin und war schon nach der ersten Stunde begeistert. Plötzlich fühlte ich mich ganz anders in meinem Körper und meine Schultern lösten sich. Ich lernte, wie es geht, mich selbst mehr in Ruhe zu lassen und so mit mir umzugehen, dass weniger Spannung entsteht. Bei ganz einfachen Tätigkeiten, wie dem Liegen, Sitzen, Stehen, Gehen unterstützt durch Berührung und Innehalten.“

“Da habe ich beschlossen, ich geh nach Berlin“.

Die Einzelstunden helfen ihr durchs Studium, doch Musiklehrerin will Susanne nicht mehr werden. Stattdessen beschließt sie 2005 nach dem ersten Staatsexamen, eine mehrjährige Ausbildung in Alexander-Technik zu machen, um anderen damit zu helfen. Bevor sie sich entscheidet, schaut sie sich verschiedene Ausbildungsklassen an. Als sie 2005 die Berliner Schule besucht, ist sie begeistert von der Stadt. „Es gab hier Brachen, breite Straßen und sehr viel Raum. Da habe ich beschlossen, ich geh nach Berlin.“

Dieser Entschluss erweist sich auch in musikalischer Hinsicht als eine gute Idee. Susanne ist zu dieser Zeit Teil des Duos „Erdbeerfeld“, in dem sie Geige spielt, singt und mit ihrem damaligen Mann Sascha auch Stücke komponiert. „Unsere Spezialität war, dass wir mit den Klängen vor Ort gespielt haben. Also zum Beispiel die Geräusche von Künstlern beim Malen oder Schnitzen oder von der Modedesignerin beim Schneiden von Stoff. Diese Aufnahmen haben wir dann in unsere Lieder eingebaut und mehrkanalig abgespielt. D.h. wir haben die Klänge im Raum verteilt und bewegt. Das war schon cool!“ In Berlin sind beide bald Teil der bunten Kunst- und der Musikszene und verdienen mit Auftragsarbeiten Geld. Die Projekte mit Erdbeerfeld sind fordernd, abenteuerlich, aber machen eine Menge Spaß.

Selbst als sich Susanne neu verliebt und eine neue Beziehung beginnen möchte, kann sie sich erst nicht vorstellen, damit auch das Duo zu verlassen – so sehr war sie mit dieser musikalischen Arbeit innerlich verbunden. Doch weitermachen wie bisher war emotional unmöglich.

Die Trennung von ihrem Mann 2009 ist ein Einschnitt in Susannes Leben. Plötzlich kommt alles auf einmal. Seit einem Jahr hat sie sich selbständig gemacht und muss nun nicht nur ihre eigene, sondern auch die Miete für die Räume in Alexander-Technik-Zentrum zahlen. Sie kämpft sich durch Formalien zur Krankenversicherung, Steuer und Scheidungsprozess und lässt sich coachen, um mit der Selbständigkeit besser klarzukommen. Um Geld zu sparen, gibt sie Alexanderstunden im Austausch für Kleidung. Die Berliner Designerin Betty Bund näht ihr ausgefallene Hosen und eine andere Freundin ungewöhnliche Oberteile. Auch Coachingstunden werden gegen Alexander-Technik getauscht.

“Es gibt da offenbar eine Seele in meiner Brust, die mich in Sachen reinstürzt, ohne nachzudenken“.

In ihrem Leben ist plötzlich so viel Bewegung, Veränderung, Emotion, dass Susanne spürt, dass sie selbst mehr über Psychologie wissen möchte. Als sie Ende 2009 auf einer Party im Gespräch mit einem Bekannten von einer tollen Gestalttherapieausbildung erfährt, ist sie sich sicher: Gestalttherapie ist das, was sie braucht. Ihr Entschluss kommt aus dem Bauch heraus und ist schnell gefasst: „Es gibt da offenbar eine Seele in meiner Brust, die mich in Sachen reinstürzt, ohne nachzudenken. Und plötzlich bin ich auf dem Weg.“ Die vierjährige Gestaltausbildung ist vor allem in den ersten zwei Jahren sehr herausfordernd. Gleichzeitig wird sie zum wichtigen Anker für Susanne in ihrem turbulenten Leben, das sich gerade vollkommen verändert hat. Sie muss sich nun intensiv mit elementaren Themen auseinandersetzen wie dem eigenen Sterben oder auch der Sexualität. „Zwei Jahre lang wurden wir in Selbsterfahrungsseminaren regelrecht durchgenudelt“, sagt Susanne. „Alles in der Gruppe, alles vor der Gruppe, alles in der Interaktion mit den Menschen. Hätte ich das vorher gewusst, hätte ich es wohl nie gemacht.“

“Ich merkte, wie wichtig es mir ist, dass man den Menschen so lässt, wie er ist“.

Doch bereut hat sie nichts. Die Gestalttherapieausbildung führt bei Susanne dazu, dass sich auch ihr Blick auf die Arbeit in der Alexander-Technik verändert. „Ich merkte, wie wichtig es mir ist, dass ich den Menschen so lasse, wie er ist – vollkommen wertfrei. Daraus heraus können sich dann Veränderungen ergeben.“ Auch traut sie sich immer mehr, in den direkten Kontakt mit ihren Klienten zu treten, um herauszufinden, was sie bewegt und was sie von ihr brauchen, aber ohne sie „reparieren zu wollen“.

So wie Susanne früher das harmonische Zusammenspiel in Orchestern liebte, so begegnet sie heute auch ihrem eigenen Körper: aufmerksam, freundlich und vor allem annehmend. Dies vermittelt sie auch den Menschen, die zu ihr kommen. Es geht immer um eine Harmonisierung des Klang“körpers“.

Kein Körperteil spielt „forte“, sondern ist Teil einer Orchestrierung. Wer harmonisch spielen möchte, muss zunächst genau hinhören. Und darum geht es vor allem: Sich selbst wahrnehmen. Die Füße auf dem Boden spüren, den Raum wahrnehmen, in dem man sich bewegt, die von Susanne geführte Bewegung des Arms geschehen lassen. Hier steht der Körper im Mittelpunkt. Ein paar Schritte durch den hellen Raum mit Susannes Hand im Rücken geben Halt und gleichzeitig dem Körper das Signal „du kannst loslassen, dich neu organisieren.“ Besonders angenehm ist die Behandlung auf der Liege. Sie hat einen rutschfesten Überzug auf Fußhöhe, damit die Beine ohne Mühe aufgestellt bleiben können. Am Kopfende dienen zwei Bücher als Kopfkissen – das unterstützt die Entspannung der Hals- und Schultermuskeln.

Susanne beginnt ihr Behandlungskonzert, in dem sie den Kopf von hinten in beide Hände nimmt und ihn wenige Millimeter nach links und rechts dreht und wieder ablegt. Sie streicht über die Arme, legt ihre Hand auf den Brustkorb und bewegt nun erst den einen, dann den anderen Arm. Ganz langsam hebt sie ihn an, beugt ihn sanft und legt ihn wieder ab. Nach und nach bekommt jeder Teil des Orchesters seinen Einsatz.

„Ich bekomme das Feedback, dass die Menschen hier wirklich zur Ruhe kommen“, sagt Susanne. „Und das ist wirklich schon sehr viel.“

Susanne hat großen Erfolg mit ihren Einzelstunden, was sonst sehr ungewöhnlich ist, weil die Alexander-Technik nicht sehr bekannt ist. „Ich komme jetzt bereits an mein Limit. Ich mache die Einzelstunden natürlich sehr gern, aber wenn es zu viele werden, kann ich nicht mehr für jeden voll da sein.“ Auch das hat Susanne über die Jahre gelernt – eigene Grenzen erkennen und respektieren. Und so leben, dass man dabei nicht ausbrennt. Dies ist einer der Gründe, weshalb sie noch mehr für Gruppen anbieten möchte. Bereits jetzt organisiert Susanne gemeinsam mit ihrer Freundin Leonie von Arnim Gruppenworkshops für Frauen auf dem Land (Brodowin), aber auch offene Abendworkshops mit Gestalttherapie-Elementen im Zentrum für Alexander-Technik. Susanne ist überzeugt, dass innerhalb einer Gruppe Themen realer erlebt und ausprobiert werden, als im Einzelkontakt nur mit ihr. Inspiriert wird sie von den vielen Workshops und Kongressen für Alexander-Technik, die sie weltweit regelmäßig besucht. „Mit meinem gestalttherapeutischen Ansatz bin ich in der Welt der Alexander-Technik etwas speziell, aber ich möchte meine Sicht unbedingt weitertragen.“ Dies tut Susanne und genießt es, sich mit Lehrern in Australien, den USA, Großbritannien oder anderen Ländern in der Welt auszutauschen und gleichzeitig Freundschaften zu schließen.

“Ich mache jetzt Raum für Neues”.

„Mein großer Wunsch ist es, zukünftig noch mehr zu reisen und dabei gleichzeitig ortsunabhängig arbeiten zu können“, sagt Susanne, für die das Wort „Stillstand“ ein Fremdwort zu sein scheint. Online-Therapiesitzungen möchte sie entwickeln und Audiovisualisierungen aufnehmen, um sie online für Meditationen zur Verfügung zu stellen.

Ihre erste Reise hat sie schon fest geplant: zwei oder drei Monate Australien. „Ich verkaufe gerade meine Geige, um die Reise finanzieren zu können.“ Die Geige steht für einen Teil ihrer Vergangenheit – das Musikstudium und die Zeit im Duo Erdbeerfeld. Deshalb konnte sie sich lange nicht von ihrer Geige trennen. „Erst jetzt bin ich soweit. Immer wenn ich die Geige anfasse, merke ich, dass ich sie nicht mehr unter meinen Hals klemmen möchte. Stattdessen mache ich jetzt Raum für Neues“, sagt Susanne, und ihre Augen strahlen.

Susanne Feld trifft man im:

Zentrum für Alexander-Technik
Auguststraße 65
10117 Berlin-Mitte

Kontakt:
Tel: 030 52548801 oder 0177 6711177
kontakt@susannefeld.de
www.susannefeld.de