Als Heimkind in der DDR lernte Renate Faltin (73) schon sehr frĂŒh, dass man im Leben nichts geschenkt bekommt – auch nicht die Liebe ihrer Mutter. Sie ertrug Einsamkeit, starre Regeln, stĂ€ndige Schulwechsel und kĂ€mpfte sich durch ein Abitur voller Zahlen und Formeln. Dann endlich der eigene Weg: OpernsĂ€ngerin. Über FĂŒnfundzwanzig Jahre lang spielte Renate Faltin auf vielen BĂŒhnen der DDR und begeisterte das Opernpublikum unter anderem in ihrer Glanzrolle als Königin der Nacht in Mozarts Zauberflöte, aber auch in zahlreichen Operetten, Oratorien und Musicals. Ihr Wissen gibt sie als Professorin fĂŒr Gesang an der Berliner Hanns Eisler Hochschule und als Autorin weiter. Ihr Buch „Singen lernen? Aber logisch!“ wurde bereits zum fĂŒnften Mal neu aufgelegt.

WĂ€re Renate Faltin auch OpernsĂ€ngerin geworden, wenn sie nicht in einem DDR-Kinderheim aufgewachsen wĂ€re? Eine Frage, die nicht einfach zu beantworten ist, aber doch liegt es nahe. Nach der Geburt von Renate in Parchim, ergriff ihre politisch ĂŒberzeugte Mutter Anni in den Nachkriegsjahren die Chance, sich im Schnellverfahren als Volksrichterin fortzubilden. Da sie selbst im Internat leben musste, konnte sie ihre unehelich geborene Tochter nicht mit unterbringen – also kam Renate ins Kinderheim, erst in Neuruppin, dann in Potsdam. Eine Zeit voller Einsamkeit, die prĂ€gend war. Schon frĂŒh musste sie die Entscheidung treffen: untergehen oder aushalten. Sie entschied sich fĂŒr das „Aushalten“, denn sie musste erst wissen, wer sie ist, um sagen zu können: „Nein, das will ich nicht.“ 

Es gab vieles in ihrer Kindheit, was ihr das Herz ĂŒberlaufen ließ. Da ist zum Beispiel dieser Tag, an dem sie ihre Mutter vermisst. Sie ist neun Jahre alt und lĂ€uft kilometerweit vom Kinderheim zur Mutter ins Potsdamer Zentrum und klingelt. Doch die Mutter weist sie ab. „Sie kam raus, hat mich gesehen und hat gesagt, das ist nicht in Ordnung, du gehst jetzt wieder zurĂŒck‘. Dann hat sie die TĂŒr zugemacht.“ Bis heute hat sich dieses Ereignis traumatisch in Renates GedĂ€chtnis eingebrannt und Spuren hinterlassen. Auch das Leben im Kinderheim ist alles andere als glĂŒcklich. Renate zĂ€hlt dort zu den SchwĂ€cheren und ist daher einer brutalen Rangordnung durch die Ă€lteren Jungen unterworfen. Wie eine Dienerin muss sie fĂŒr sie die Schulmappen schleppen und Mutproben bestehen. „Ich musste zum Beispiel außen auf einer schmalen BrĂŒstung im Hochparterre zum nĂ€chsten Fenster balancieren“. Auch seelische Grausamkeiten sind an der Tagesordnung fĂŒr das kleine MĂ€dchen, die schockiert zusehen muss, wie die Jungs den Fliegen die FlĂŒgel ausreißen und die Tiere langsam torkelnd verenden lassen. „Ich bin eigentlich ein sehr emotionaler Mensch. Weil ich aber im Heim und bei meiner Mutter nicht verletzlich sein durfte, habe ich mir angewöhnt, nach außen hin abweisend zu wirken.“ Und doch gibt es in ihr dieses BedĂŒrfnis, ihre GefĂŒhle mit jemandem zu teilen. Es darf nur niemand sein, der sie kennt. Deshalb sprach sie damals, wenn sie es nicht mehr aushielt, einfach fremde Menschen an. „Ich habe mir Leute in der Straßenbahn gekrallt, um denen mein Herzeleid auszuschĂŒtten, weil ich wusste, dass ich die nie wieder sehen wĂŒrde.“

Renate Faltin klingt nicht verbittert, wenn sie davon erzĂ€hlt. Ja, es sei sicher traurig aus heutiger Sicht, aber sie habe es damals nicht so empfunden – sie kannte es ja nicht anders. Mit einem kleinen Lachen streicht sie sich durch ihr nach hinten gebundenes, schwarzgrau meliertes Haar und lehnt sich im schwarzen Ledersessel zurĂŒck. Ihre dunkelbraunen Augen sind auf die Wand vor ihr gerichtet, wĂ€hrend sie sich erinnert. „Dieses GefĂŒhl, mich anderen mitteilen zu wollen, GefĂŒhle zu transportieren und Verbundenheit zu erzeugen, aber ohne erkannt zu werden, habe ich auch als SĂ€ngerin spĂ€ter gehabt.“ WĂ€hrend ihre Kollegen nach der Vorstellung Autogramme geben, schleicht sich Renate Faltin nach bejubelten Auftritten als Königin der Nacht lieber unerkannt aus dem Haus. BĂŒhne ist BĂŒhne und privat ist privat. Sie möchte selbst entscheiden, wann und wem sie sich zeigt. 

“OpernsĂ€ngerin war von da an mein Traumberuf.”

Heute sieht Renate in ihrer schwierigen Kindheit tatsĂ€chlich einen Grund, warum sie es geschafft hat, OpernsĂ€ngerin zu werden. Denn ihr Weg in den Beruf war alles andere als einfach. DafĂŒr musste sie vieles aushalten und oft auch kĂ€mpfen – StĂ€rken, die sie als Kind ausbilden musste, um zu ĂŒberleben. WĂ€hrend der Heim- und Schulzeit konnte sie keine eigenen Ziele verfolgen. Sozialistische Erziehung, Regeln befolgen, lernen, was der Staat vorgibt. „Ich erinnere mich an die Lautsprecherdurchsage in den Fluren, als Stalin 1953 gestorben ist. Da sind unsere Erzieher heulend und schreiend ĂŒber den Tischen zusammengebrochen.“ Dabei ist fĂŒr Renate schon mit vierzehn klar, dass ihr Weg ein anderer sein soll. Als sie zum ersten Mal die Oper „La BohĂšme“ erlebt, weiß sie, dass sie auch auf die BĂŒhne möchte. „OpernsĂ€ngerin war von da an mein Traumberuf, aber ich habe dann immer behauptet, dass ich Tierarzt werden will,“ sagt Renate Faltin. So erspart sie sich Fragen und geht Diskussionen aus dem Weg. Sie hat schnell gelernt, dass das wohl nicht ins sozialistische Weltbild ihrer Umwelt passen wĂŒrde.

Renate quĂ€lt sich durch das fĂŒr sie vorgegebene naturwissenschaftliche Abitur, obwohl ihre StĂ€rken kreative sind. „Ich konnte super Gedichte aufsagen, schön singen und habe sehr gern Theater gespielt.“ Wenn sie etwas vortragen kann, ist sie glĂŒcklich, denn die Momente, in denen sie von anderen bewundert und beachtet wird, sind selten. „Ich hatte ja keine Freunde,“ sagt Renate und lacht kurz auf. Einer der GrĂŒnde ist der Beruf ihrer Mutter, die mittlerweile als Richterin arbeitet. „Wir mussten uns von der Schule her einmal eine Gerichtsverhandlung ansehen. Und dann war ausgerechnet ich mit meiner Klasse dabei, als meine eigene Mutter irgend so ein armes Schwein verurteilte, das einen Witz ĂŒber Walter Ulbricht gemacht hatte.“ 

Mit zehn Jahren kann Renate das Kinderheim verlassen und zu ihrer Mutter ziehen. Diese arbeitet in der Bezirksleitung der SED als Instrukteur fĂŒr Justiz in Potsdam und hat nun endlich eine eigene Wohnung bekommen. Die Konflikte zwischen Mutter und Tochter spitzen sich zu, denn sie sehen sich nun jeden Tag. „Man sagt ja, die Bindung zu einer Mutter entsteht in den ersten Jahren – aber die hatten wir ja nicht.“

Auf der Suche nach dem unbekannten Vater

Eines der grĂ¶ĂŸten Konfliktthemen ist der unbekannte Vater. Ihre ganze Kindheit ĂŒber wollte Renate wissen, wer er ist und wie ihn die Mutter kennengelernt hat. Doch diese lehnt es kategorisch ab, darĂŒber zu sprechen. Stattdessen wird sie jedes Mal wĂŒtend und behauptet lange, der Vater sei im Krieg gefallen, was Renate aber nie glaubt, da sie erst 1946 geboren wurde. In den Augen der Mutter war der Vater „ein schlechter Mensch“, und damit musste sich die Tochter zufrieden geben. Kein Name, keinerlei Informationen. 

Bis Renate in der Schule lernen soll, wie man einen Lebenslauf schreibt. Sie zeigt der Mutter die Aufgabe und fragt, was sie bei „Vater“ eintragen soll. Die Mutter bekommt wieder einmal einen Wutanfall. Diesmal vielleicht, weil sie im Zwiespalt ist. Wenn sie sich weigert, etwas zu sagen, wird der Lebenslauf ihrer Tochter in der Schule eine LĂŒcke aufweisen, doch wenn sie erzĂ€hlt, dass Renates Vater lange wegen Schmuggels nach dem Krieg gesucht wurde und mittlerweile im Westen lebt, könnte sie ihre Tochter verlieren. Sie ahnt wahrscheinlich, wie sehr sich Renate wĂŒnscht, ihren Vater zu treffen. 1959 gibt es noch keine Grenze, die dies verhindert hĂ€tte. Die Mutter tobt und schreit, aber nennt dann tatsĂ€chlich den Namen und das Geburtsdatum des Vaters. In ihrer Wut gibt sie auch preis, dass er in Schönwalde bei Berlin geboren wurde, verheiratet ist und einen weiteren Sohn hat. Jedes ihrer Worte brennt sich in Renates GedĂ€chtnis ein. „Ich hatte das starke BedĂŒrfnis, endlich meine Wurzeln zu kennen.“ Auf einem kleinen grĂŒnen Zettel notiert sie sich jedes Detail, das sie eben erfahren hat und steckt ihn in ihr Portemonnaie. So hat sie ihren Vater Erwin und ihren Halbbruder Harry immer bei sich, auch wenn sie nicht weiß, wo sie sind. 

„Gerade wenn man sich so alleine fĂŒhlt und keiner hilft einem, dann hĂ€tte man gerne entweder einen großen starken Bruder oder einen Vater, der mal so richtig Bescheid sagt.“ Doch Renate hat gelernt, alles zu vermeiden, was ihre Mutter aufregen oder missfallen könnte, denn sie fĂŒrchtet ihre heftigen Reaktionen. „Meine Mutter hat mir immer gedroht, wenn irgendwas war, dass ich sie um den Verstand bringe oder dass sie sich das Leben nehmen wĂŒrde. Immer wieder.“ Erst nach der Wende, als der Vater bereits gestorben ist, lernt sie durch Nachforschungen ihren Halbbruder Harry kennen. Dass Renate seine Halbschwester ist, wird Harry klar, als sie ihm in einem Brief den Diamantring beschreibt, den ihre Mutter von Harrys Vater damals erhalten hat. „Mein Vater hat doch die DĂ€mlichkeit besessen, sowohl seiner Frau als auch seiner Geliebten den gleichen Ring zu schenken.“ Renate schĂŒttelt den Kopf, aber muss dabei lachen. Denn seine Dummheit hat ihr geholfen, ihren Halbbruder zu finden. Und das war fĂŒr sie eines der grĂ¶ĂŸten Geschenke, das ihr das Leben machen konnte. 

“Ein Professor hat mich ‚Miss MĂ€usehusten‘ genannt.”
Doch ihren Lebensweg geht Renate zunĂ€chst allein. Direkt nach dem Abitur bewirbt sie sich an der Hochschule fĂŒr Musik Franz Liszt in Weimar – so weit weg von ihrer Mutter wie möglich. Doch sie wird abgelehnt. „Die haben mir gesagt, dass meine Stimme noch zu kindlich ist.“ Schließlich entdeckt sie in einer Tageszeitung einen Zeitungsartikel, dass fĂŒr eine Klasse an der Hanns Eisler Hochschule in Berlin noch SchĂŒler gesucht werden. Dies ist sehr ungewöhnlich, denn an allen vier Musikhochschulen der DDR sind die AufnahmeprĂŒfungen bereits abgeschlossen. Renate bewirbt sich und wird tatsĂ€chlich genommen, doch sie weiß, dass sie nicht die erste Wahl ist. „Die Musikhochschulen hatten bei SĂ€ngern ein Aufnahmesoll, denn 52 Musiktheater mussten mit KĂŒnstlern gefĂŒllt werden. Da haben die genommen, was geht.“ Und das lassen die Lehrer sie deutlich spĂŒren. „Ich hatte einen Professor, der hat mich sogar ‚Miss MĂ€usehusten‘ genannt.“ 

Trotz einer fachlich nicht guten Hauptfachlehrerin und wenig UnterstĂŒtzung schafft Renate ihr Studium – sie beißt sich durch, ertrĂ€gt vieles, weil sie ihr Ziel unbedingt erreichen möchte. „Damals war es noch so, dass man nach vier Jahren einen ChorsĂ€nger- oder nach fĂŒnf Jahren einen solistischen Abschluss machen konnte. FĂŒr den Soloabschluss kam ich als ‚Miss MĂ€usehusten‘ eigentlich nicht in Frage,“ stellt Renate nĂŒchtern fest. Und doch ist es genau das, was sie möchte. Also bewirbt sie sich noch wĂ€hrend ihres Studiums an einem sehr kleinen Theater, dem Theater Senftenberg, „eine Klitsche“, wie sie sagt. Dort will man sie nehmen, wenn sie noch ein Jahr studiert und ihren solistischen Abschluss macht. „Ich bin dann an meine Schule und habe gesagt – so. Wenn ihr mich noch ein Jahr hier lasst, dann nehmen die mich. Und dann habe ich tatsĂ€chlich nochmal ein Jahr gekriegt.“ 

Heirat, Kind und Karriere

WĂ€hrend des Studiums lernt Renate an der Hochschule ihren spĂ€teren Mann Peter kennen, der dort unterrichtet. „Im letzten Jahr haben wir dann bemerkt, dass es doch fĂŒr lĂ€nger sein könnte.“ Sehr zurĂŒckhaltend erzĂ€hlt sie von dieser Liebe, die nur sie selbst etwas angeht. Sie wollen heiraten, doch Renate möchte ihren eigenen Namen behalten – ihr Name ist durch verschiedene Auftritte in der Theaterwelt bereits bekannt. Da sie keinen Doppelnamen möchte und es damals in der DDR unmöglich ist, jeweils den eigenen Namen zu behalten, heiraten sie schließlich in Ungarn. „Das hatte ganz böse Folgen,“ sagt Renate. „Jedesmal, wenn wir im Hotel unsere Ausweise vorlegten, hat die Rezeptionistin einen roten Kopf gekriegt und ihre Vorgesetzte geholt.“ Renate imitiert amĂŒsiert den damaligen Dialog: „Herr Kroll, Sie sind verheiratet? Jaaa! Und Frau Faltin, sind Sie verheiratet? Jaaaaa! Aber nicht mit dem Mann? Dooch!“ FĂŒr zukĂŒnftige Reisen besorgen sie sich schließlich eine staatlich beglaubigte und ĂŒbersetzte Eheurkunde, um im selben Zimmer ĂŒbernachten zu können. 

1970, als Renate 24 Jahre alt ist, wird ihr Sohn Sebastian geboren. Zwei schlecht bezahlte und anstrengende Jahre am Theater Senftenberg und eine Zeit der freiberuflichen TĂ€tigkeit liegen hinter ihr. Sie beginnt am Operettentheater in Dresden zu arbeiten und sie und ihr Mann pendeln abwechselnd mit dem Sohn zwischen den StĂ€dten hin und her. „Mit dem Trabant auf den schlechten Straßen hat das schon ein bisschen gedauert.“ 

Glanzrolle: Die Königin der Nacht

Ihre erste Rolle war das Hannchen in der Operette „Der Vetter aus Dingsda“. „Diese Rolle hat mich dann ewig verfolgt,“ sagt Renate Faltin und kichert, wĂ€hrend sie in ihrem Ordner blĂ€ttert, in dem sie alle Stationen ihrer Karriere abgeheftet hat. Als sie 1981 ihre Tochter Susanna bekommt, ist sie bereits gefragte Koloratur-Sopranistin fĂŒr die schwierige Rolle der Königin der Nacht in Mozarts Zauberflöte. 1977 trat sie zum ersten Mal im Theater Rostock in dieser Rolle auf und wird seitdem immer wieder von verschiedenen OpernhĂ€usern der DDR engagiert. Herausfordernd sind die beiden Arien, bei denen die Stimme besonders in den hohen Tonlagen sehr beweglich sein muss. „Wenn da eine Note falsch ist, hört das jeder Dussel,“ sagt Renate Faltin und fĂŒgt hinzu: „Und weil ich sehr, sehr sicher in dieser Höhe war, wurde ich hĂ€ufig von heute auf morgen als Ersatz angefragt.“

Auf einem Foto im Ordner sieht man Renate in der Rolle der Königin der Nacht. Riesige, dunkle Augen unter einer eng anliegenden Kappe blicken direkt in die Kamera. Ein langer schlanker Hals schwebt ĂŒber dem dunklen KostĂŒm mit dem bestickten Stehkragen. Der Blick hĂ€lt den Betrachter gefangen, er strahlt Trauer und doch gleichzeitig Entschlossenheit und Kraft aus. Es ist nicht die Königin, die man auf dem Bild sieht. Es ist Renate Faltin selbst, die sich sich hier – unter dem Schutz der Rolle – hervorwagt, sich zeigt.

“Ich hatte immer schwierige FĂ€lle, denen ich helfen musste.”
Neben der Leidenschaft fĂŒr das Singen hatte Renate schon frĂŒh entdeckt, dass sie sich auch sehr fĂŒr die Technik dahinter interessiert. „Ich musste mich ja im Studium mit mir selber beschĂ€ftigen, weil ich es nicht gut konnte und der Unterricht sehr schlecht war.“ 

Renate Faltin beginnt 1971 neben ihrem Engagement am Theater Senftenberg an ihrem spielfreien Tag zunĂ€chst Kinder und Jugendliche an einer Musikschule in Berlin-Treptow zu unterrichten. Ihr Unterricht ist beliebt und ihr macht es großen Spaß, ihr Wissen weiterzugeben. 1977 folgt eine zweijĂ€hrige pĂ€dagogische Aspirantur an der Hanns Eisler Hochschule, bei der sie nun Studenten unterrichtet, aber parallel von einer Mentorin unterstĂŒtzt wird. „Das war die beste Lehrerin an der Hochschule“, sagt Renate Faltin heute. 1979 setzt sie ihre pĂ€dagogische Karriere als „Oberassistent fĂŒr Gesang“ an der Hochschule fort und arbeitet nun mit eigenen Hauptfachklassen fĂŒr Chor- und Sologesang. „Ich hatte immer schwierige FĂ€lle, um die ich mich kĂŒmmern musste. Das hat mich gefordert, denn ich musste ĂŒberlegen, wie ich ihnen helfen konnte.“ 

Den Auftritt ĂŒberleben

Renate sieht und hört genau hin, wenn ihre Studenten singen. Oft haben sie sich ĂŒber die Jahre falsche „Einstellungen“ angewöhnt, die sie nun gemeinsam mit ihnen korrigiert. „Die erste Regel fĂŒr den SĂ€nger ist es den gesamten Auftritt zu ĂŒberleben. Es könnte ja noch eine Arie kommen,“ sagt Renate Faltin und lacht. Sie weiß genau, wie Gaumensegel, Lippen und Zunge bewegt werden mĂŒssen, um die Töne richtig und dabei ohne Kraftaufwand zu erzeugen. Das ist wichtig, damit die SĂ€nger auch lange MusikstĂŒcke problemlos bewĂ€ltigen können. „Was mir damals sehr geholfen hat, war meine Arbeit fĂŒr die ‚Berliner Gesangswissenschaftlichen Tagungen’ der CharitĂ©â€œ, fĂ€hrt sie fort. „Ich war der Vertreter fĂŒr die Hochschule und leitete gemeinsam mit Prof. Dr. Seidner von der CharitĂ© die Veranstaltungen.“ Auf der Tagung trafen sich FachĂ€rzte (Phoniater), GesangspĂ€dagogen und SĂ€nger aus dem ganzen Land und tauschten sich ĂŒber Klangerzeugung und die aktuellsten Erkenntnisse zur Funktionsweise der Stimme aus. Renate profitiert von diesen fachĂŒbergreifenden Erfahrungen und hĂ€lt auch selbst VortrĂ€ge, leitet Veranstaltungen und stellt Methoden aus ihrem Unterricht vor. Nur mit der UnterstĂŒtzung ihres Mannes schafft sie es, ihre Familie, die Gesangskarriere und den Unterricht unter einen Hut zu bekommen. „Meine Mutter konnte ich dabei ja vergessen,“ fĂŒgt Renate hinzu. Sie blickt geradeaus, keine Mimik verrĂ€t, welches GefĂŒhl sie damit verbindet.

Besonders ihre Tochter Susanna braucht viel Aufmerksamkeit, denn sie ist Asperger-Autistin, was jedoch damals nicht erkannt wird. In der Schule ist sie oft blockiert vor Angst, will nicht sprechen, doch die Lehrer deuten dies als Verweigerungshaltung, was zu Problemen fĂŒhrt. Den Schulstoff muss Renate zuhause mit ihr mit ganz individuellen Methoden erarbeiten, da sie in der Schule nicht folgen kann. Wie bei ihren SchĂŒlern und Studenten auch, versetzt sie sich jetzt in die Lage ihrer Tochter und gibt nicht auf, bis sie die richtige Methode gefunden hat. „Ich musste mir immer etwas ausdenken, damit sie verstand, was gemeint war. Zum Beispiel Multiplikation anhand von Tassen und Murmeln.“ 

Karriere an der Hochschule

WĂ€hrend sich Renate in den achtziger Jahren zur gefragten OpernsĂ€ngerin und GesangspĂ€dagogin entwickelt, findet in der DDR ein dramatischer kĂŒnstlerischer Aderlass statt. Seit der AusbĂŒrgerung des Liedermachers Wolf Biermann 1976 haben ĂŒber 350 Schauspieler, Regisseure, Schriftsteller und bildende KĂŒnstler in den 1980er Jahren die DDR verlassen. Wer Kritik ĂŒbt, erhĂ€lt Auftrittsverbot oder wird politisch verfolgt. 

„FĂŒr meine Mutter hatte die Partei immer Recht, denn der Sieg des Sozialismus stand ĂŒber allem. Mir lag das aber nicht.“ Renate ist nicht in der Partei – sehr zum Bedauern ihrer Mutter. „ZunĂ€chst bin ich nicht in die Partei gegangen, weil ich mich nicht gut genug fĂŒhlte, selbstredend. Ich war ja nur ein blöder Student. Dann irgendwann stellte ich fest, hier stimmt was nicht und dann hĂ€tten mich auch keine zehn Pferde mehr reinbekommen.“ Diese Weigerung ist immer wieder Anlass fĂŒr Streite mit der Mutter, die sogar Renates Mann dafĂŒr VorwĂŒrfe macht, dass er es nicht schafft, sie umzustimmen. 

Nach sieben Jahren als Oberassistent wird Renate Faltin 1986 vom damaligen Rektor Prof. Olaf Koch der Hanns Eisler Hochschule fĂŒr eine Dozentur vorgeschlagen – eine deutliche Verbesserung gegenĂŒber ihrer aktuellen Position: „Als Dozent musstest du weniger arbeiten als die Oberassistenten und hattest endlich auch eine Altersversicherung.“ In der DDR war es nicht möglich, sich fĂŒr eine derartige Position zu bewerben. Stattdessen hing alles davon ab, dass ein Vorgesetzter die Berufung als Dozent am eigenen Institut vorschlug. Die formale Ernennung erfolgte dann in einem öffentlichen Festakt ĂŒber das Ministerium fĂŒr Kultur. 

“Ich sehe ihn noch vor mir, wie er mit dem Kaderentwicklungsplan wedelt.”
Doch im selben Jahr wird Prof. Ragwitz neuer Rektor der Hanns Eisler Hochschule, und entscheidet im Alleingang, dass diese Dozentur als eine „außerordentliche“ zu verstehen sei. Dies hĂ€tte bedeutet, dass Renate Faltin nur den Titel „Dozent“ erhalten hĂ€tte ohne die damit verbundenen Leistungen. Erst zwei Tage vor der geplanten Berufung soll ihr dies der Abteilungsleiter schonend beibringen. Doch Renate hat bereits ĂŒber ihre Kollegen davon erfahren. Im GesprĂ€ch lĂ€sst sie ihn sehr direkt wissen: „Lass stecken, das haben mir schon welche erzĂ€hlt.“ Daraufhin wird sie zum Rektor zitiert, der verlangt, dass sie Namen nennt. „Ich sehe den heute noch vor mir, wie er mit dem Kaderentwicklungsplan wedelt.“ Er macht ihr klar, dass ihre weitere Karriere nun davon abhĂ€nge, ob sie die „undichte Stelle“ verrate. Sie weigert sich, will eine Beförderung aufgrund ihrer Leistungen, nicht aufgrund einer Denunziation.
“Ich arbeite wie ein Dozent, ich berufe mich auf die Verfassung.”
Renate Faltin wendet sich an die Konfliktkommission der Hochschule, weil sie eine gerechte VergĂŒtung fĂŒr die tatsĂ€chlich geleistete Arbeit und Lohnnachzahlungen fordert. Sie ist fest ĂŒberzeugt, dass sie fĂŒr ihr Recht kĂ€mpfen kann. „Ich habe gesagt, ich arbeite wie ein Dozent, ich berufe mich auf die Verfassung, ich möchte gleiches Geld fĂŒr gleiche Arbeit.“ Im Oktober 1987 wird eine Konfliktverhandlung angesetzt, doch da der Rektor nicht erscheint, findet die Verhandlung nicht statt. 

Doch Renate glaubt immer noch, dass sie auf Basis der DDR-Verfassung erfolgreich klagen kann und wendet sich an einen Juristen. „Der hat mir dann ganz deutlich gesagt, ich könne zwar klagen, aber dass ich am Schluss kein Recht kriegen wĂŒrde.“ Erst da wird ihr klar, dass es naiv und blauĂ€uig war, den Staat herauszufordern. Hinzu kommt, dass ihr der Rektor in einem KadergesprĂ€ch nahelegt, ihren Antrag an die Konfliktkommission zurĂŒckzuziehen, da es sonst „keine Klarheit ĂŒber ihre weitere TĂ€tigkeit und Entwicklung gĂ€be“, wie es im GesprĂ€chsprotokoll heißt. Diese nur schwach verschleierte Nötigung bringt ihre sozialistische Überzeugung vollkommen ins Wanken.

Renate Faltin wird schließlich weder zur Dozentin berufen, noch wird ihrem Antrag fĂŒr eine gerechte Bezahlung fĂŒr sich und weitere betroffene Mitarbeiter stattgegeben. Ihre Arbeitssituation an der Hanns Eisler Hochschule wird immer schwieriger, Kollegen beginnen, sie zu schneiden und setzen sich in Versammlungen nicht mehr zu ihr.

Doch die Studenten schĂ€tzen sie sehr. Immer wieder wechseln sie bewusst zu ihr, weil sie unzufrieden mit anderen Lehrern sind. Es spricht sich herum, dass man bei ihr mit Problemen nicht allein gelassen wird. Wenn Fragen entstehen, forscht Renate so lange, bis sie ihren Studenten eine fundierte Antwort geben kann. Manchmal stellt sie sich so lange vor einen Spiegel und probiert Zungen-, Gaumen-, Mundstellungen aus, bis sie herausgefunden hat, was ihr Student falsch macht. 

DDR im Umbruch

Renate Faltin ist keine Systemkritikerin. Doch sie kann nicht alles einfach hinnehmen – trotz der sozialistischen Erziehung in den SED-Kinderheimen und ihrer linientreuen Mutter. Ihre Erfahrung mit der Berufung lĂ€sst sie immer weiter zweifeln. Im Oktober 1988 beschließt die DDR-Regierung, das sowjetische Magazin „Sputnik“ nicht auszuliefern. Es hatte ĂŒber den von der SED verleugneten deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt berichtet. Renate Faltin ist als Abonnentin verĂ€rgert ĂŒber diese GĂ€ngelung. Sie nimmt ein altes Titelblatt des Magazins, gestaltet es als Traueranzeige um mit schwarzem Rand, Kreuz und dem „Todesdatum“ Oktober 1988 und hĂ€ngt es an die Wand der Hochschulmensa. „Zum GlĂŒck bin ich nicht erwischt worden,“ sagt Renate nachdenklich.

Außerhalb der Hochschule herrscht Unruhe in der DDR. Die Glasnost-und Perestroika-Bewegung in der Sowjetunion lĂ€sst viele BĂŒrger hoffen, dass auch das DDR-Regime sich offen fĂŒr VerĂ€nderungen zeigt. Immer deutlicher fordern sie Reformen ein. Doch die DDR-Regierung sieht keinen Anlass fĂŒr Selbstkritik und geht mit aller Macht gegen ihre Kritiker vor. 

Im Januar 1989 gelingt es 500 Menschen, auf dem Leipziger Marktplatz fĂŒr das Recht auf freie MeinungsĂ€ußerung, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit sowie Pressefreiheit zu demonstrieren. Über 50 Demonstranten werden verhaftet, aber nach SolidaritĂ€tsaktionen in vielen DDR-StĂ€dten nach wenigen Tagen Haft wieder freigelassen. Es formieren sich die Leipziger Montagsdemonstrationen, bei denen im Herbst erstmals 1200 Menschen durch die Innenstadt ziehen. Renate Faltin erlebt dies hautnah, denn sie hat zu dieser Zeit ein Engagement am Leipziger Opernhaus fĂŒr die Zauberflöte und pendelt fĂŒr die Proben zwischen beiden StĂ€dten hin und her. 

Der Anfang vom Ende der DDR

Die politische Unruhe ist auch auf die Musikhochschule ĂŒbergesprungen, wo ĂŒber die Zukunft der DDR diskutiert wird und die alten Abteilungsleiter von den Studenten und einigen Lehrern nicht mehr akzeptiert werden. Nachdem die Polizei am 7. Oktober, dem 40. Jahrestages der DDR, Demonstranten mit brutaler Gewalt niederknĂŒppelt, verhaftet und misshandelt, ist Renate Faltin sehr betroffen. Sie folgt  der Initiative von Berliner Schauspielern und KĂŒnstlern und nimmt am 28. Oktober 1989 – zehn Tage nach Honeckers RĂŒcktritt, an der Lesung von Ulrich MĂŒhe im Deutschen Theater teil. MĂŒhe liest aus Walter Jankas Memoiren „Schwierigkeiten mit der Wahrheit“, die zu diesem Zeitpunkt nur im Westen erschienen sind. Janka rechnet in seinem Buch ab mit politischer Heuchelei, Polizeistaatlichkeit, Rechtsbeugung und Menschenverachtung. Die Schlange vor dem Theater reicht bis zur Friedrichstraße, die Lesung wird mit Lautsprechern auf die Straße ĂŒbertragen, einige Menschen weinen.

Am 4. November findet auf dem Alexanderplatz die erste genehmigte nichtstaatliche Demonstration der DDR mit ĂŒber 500.000 Teilnehmern und bekannten Rednern wie Stefan Heym, Gregor Gysi, Christa Wolf oder auch Heiner MĂŒller statt. Auch Renate ist dabei: „Viele wĂŒnschten sich – wie ich – eine bessere DDR, ohne sie ganz abschaffen zu wollen. Aber dann habe ich einige schwarz-rot-goldenen Fahnen ohne DDR-Emblem gesehen und wusste plötzlich: die DDR wird es nicht mehr geben, die Menschen wollten einfach ein besseres Leben.“ Am 9. November fĂ€llt die Mauer und die DDR, wie sie einmal war, beginnt sich aufzulösen.  

Trauer und Überleben

Doch im November 1989 stirbt Renates Mann an einem Herzinfarkt. Das lĂ€sst alles andere plötzlich unwichtig werden. Trotz des Schocks und der Trauer muss Renate irgendwie funktionieren: Susanna, ihre BĂŒhnenauftritte, die Gesangsklasse und BehördengĂ€nge. Kurz vor Weihnachten muss sie aufs Amt gehen, um ihren Mann persönlich abzumelden und seinen Personalausweis abzugeben. Renate nimmt alles wie unter einem Schleier wahr, alles wirkt auf sie unwirklich. „Ich musste zuhören, wie die Frauen sich am Telefon ĂŒber Weihnachtsgeschenke austauschten, und sollte gleich sagen ‚guten Tag, mein Mann ist gestorben.“ Die Art wie sie erzĂ€hlt, lĂ€sst nur ahnen, wieviel Kraft es sie gekostet haben muss, diese Zeit zu ĂŒberstehen. Sie verbirgt ihr GefĂŒhl hinter einer Szenenbeschreibung, lĂ€sst nur den Zuschauerblick zu. Diese Distanz ist es, mit der sie andere Menschen tĂ€uscht und glauben lĂ€sst, sie sei nicht emotional und somit auch nicht verletzlich. Ihre GefĂŒhle gibt sie Fremden nicht gern preis, das hat sie verinnerlicht, denn es hat ihr geholfen, ihre lieblose Kindheit zu ĂŒberleben. Ihre StĂ€rke schöpft sie auch aus dieser Zeit. Nur so hat sie ihre Tochter versorgt, ist aufgetreten, hat unterrichtet, ist mit dem Alleinsein klargekommen und hat sich ein neues Leben in einem fĂŒr sie neuen Land aufgebaut. 

1990, unter einer neuen Rektorin, erhĂ€lt Renate Faltin endlich die ursprĂŒnglich versprochene Dozentenstelle – rĂŒckwirkend ab Februar und bis zum offiziellen Ende der DDR. Es ist eine Art Aufarbeitung durch die Hochschule fĂŒr Musik, von der auch Studenten profitieren, die damals aus politischen GrĂŒnden ihr Examen nicht machen durften. Kurz darauf stellt Renate Strafanzeige gegen den damaligen Rektor Prof. Ragwitz, dessen Machtmissbrauch und Nötigung sie dokumentiert wissen möchte. Ein Untersuchungsausschuss gibt ihr 1991 in allen Punkten recht. 

Abschied von der Oper

Im Sommer 1990 steht sie zum letzten Mal im Goethetheater Bad LauchstĂ€dt bei einer Inszenierung des Theater Halle als Königin der Nacht auf der BĂŒhne. „Ich war besonders gut an diesem Abend, wollte mir selbst einen wĂŒrdevollen Abschied geben, denn niemand außer mir wusste davon.“ Sie hat diesen Entschluss bewusst gefasst, weil sie sich mehr um ihre Tochter kĂŒmmern möchte, die damals gerade elf Jahre alt ist. Hinzu kommt, dass sehr viele Theater neue, meist westliche, Intendanten haben. „Ich hĂ€tte da vorsingen mĂŒssen wie ein AnfĂ€nger – guten Tag, ich bin die Neue, ich komm jetzt öfter – neee. Also das war gegen meine Ehre.“ 

Nach der Wende werden die alten Hochschulstrukturen und somit die Stellen neu organisiert. Doch von ihrem Arbeitsplatz bei der Hochschule hĂ€ngt ab, ob Renate ihre Tochter allein versorgen und ihr Haus weiter finanzieren kann. DafĂŒr muss sie eine letzte berufliche HĂŒrde nehmen und sich erneut bewerben, obwohl sie seit Jahrzehnten an der Hochschule beschĂ€ftigt ist. Als sie die ausgeschriebene Professorenstelle bekommt, ist sie sehr erleichtert. Endlich ist sie mit ihrer Tochter sozial abgesichert. 

“Ich sehe mit dem Ohr.”
Renate Faltin hat mittlerweile hunderte von SchĂŒlern in der ganzen Welt ausgebildet und gibt auch seit ihrer Emeritierung am 1. April 2011 weiter Unterricht als Professorin fĂŒr Gesang an der Hochschule fĂŒr Musik Hanns Eisler Berlin. Viele ihrer SchĂŒler und Studenten haben Karriere gemacht oder sind gerade dabei. So z. B. Annika Schlicht, Mezzosopranistin an der Deutschen Oper Berlin, Fatma Said, Sopranistin mit Engagements an der MailĂ€nder Scala oder auch der Countertenor Jörg Waschinski. Doch besonders stolz ist sie auf die, die gar nicht so bekannt sind, die nach jahrelangem Studium kurz davor waren, aufzugeben und es mit ihrer Hilfe dann doch geschafft haben. „Es gibt so viel Scharlatanerie in diesem Beruf. Die Vorgaben, um Gesangslehrer zu werden sind ‚international bekannt‘, ‚Lehrerfahrung haben‘ und ‚vorsingen‘. Und dann passiert es hĂ€ufig, dass Professuren nach PopularitĂ€t der Person vergeben werden. Nach meiner Auffassung sind das aber zwei verschiedene Paar Schuhe.“ Nur wenige Gesangslehrer seien in der Lage, Studenten so zu unterrichten, dass sie bewusst ihre KlangrĂ€ume einstellen können. „Dabei gibt ja nur wenige, die die Klappe aufmachen und alles funktioniert, weil die Natur das so gemacht hat.“ Bei ihren SchĂŒlern achtet sie auf viele Details. „Ich sehe mit dem Ohr. Ich höre, was sie anatomisch tun, welche Fehler sie dabei machen.“ 

Renate liegt viel an ihren SchĂŒlern. Auch nach Jahren hĂ€lt sie den Kontakt zu ihnen. Jedes Jahr veranstaltet sie eine Gartenparty in ihrem Haus in Berlin-Niederschönhausen – eine „FĂȘte“ wie sie es nennt. „Es ist immer unterschiedlich, wer kommt, denn am Theater hast du ja nur zwei wirklich gesicherte Feiertage – Heiligabend und den ersten Mai.“ Es wird viel gesungen und die Ehemaligen tauschen ihre Erfahrungen ĂŒber die unterschiedlichen Theater mit den aktuellen SchĂŒlern von Renate aus. „Das lieben alle immer sehr.“

“Die meisten sind voller Selbstzweifel.”
Ihre vielfĂ€ltigen Erfahrungen mit Studenten zum Gesangsunterricht hat Renate Faltin in einem Buch aufgeschrieben. „Ich habe mir manchmal an den Kopf gefasst, wie schlecht manche gesungen haben, obwohl sie schon fĂŒnf Jahre Unterricht hatten.“ Im Jahr 2000 erschien die erste Ausgabe von „Singen lernen? Aber logisch! Von der Technik des klassischen Gesangs“. Mittlerweile gibt es das Buch bereits in der 5. Auflage. Es ist zu einer Art Standardwerk geworden. Mit leicht verstĂ€ndlicher Sprache und ungewöhnlichen Fotos von MundinnenrĂ€umen erklĂ€rt sie, was nötig ist, um die Töne zum Klingen zu bringen. FĂŒr Renate Faltin ist das die Grundvoraussetzung, um auch mit Stimmproblemen besser umzugehen. Wer genau weiß, was er anatomisch tun muss, um einen Ton zu erzeugen, wird seine eigenen Fehler analysieren und gezielt korrigieren können, statt in eine Stimmkrise zu geraten. Denn Singen hat viel mit Psyche zu tun, davon ist Renate Faltin ĂŒberzeugt. „Das Bild vom ĂŒberkandidelten SĂ€nger, der mit einem weißen Schal abgehoben durch die Gegend rennt, stimmt nicht, die meisten sind voller Selbstzweifel.“ Renate möchte allen die richtigen Instrumente an die Hand geben, um ihren Weg zu gehen.

Doch das allein reicht nicht. „Ein SĂ€nger muss das innere BedĂŒrfnis haben, seine Seele auf diese Art und Weise zu zeigen. Ich selbst bin nur der Verkehrspolizist – ich kann sagen, hier nicht und jetzt so und jetzt abbiegen, aber fahren muss jeder allein.“

Renate Faltin trifft man an der:

Hochschule fĂŒr Musik Hanns Eisler Berlin
Charlottenstraße 55
10117 Berlin

Web: www.hfm-berlin.de

Renate Faltin kann man hier singen hören:

 

Die FĂ©e UrgĂšle - Johann Abraham Peter Schulz

von Renate Faltin